Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen künftig bei 1,8 Prozent pro Jahr

Der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gemäß Paragraph 233a der Abgabenordnung ist mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ rückwirkend ab 1. Januar 2019 auf 0,15 Prozent pro Monat (also 1,8 Prozent pro Jahr) abgesenkt worden. Mit der Neuregelung wird den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, den Zinssatz für die so genannte Vollverzinsung verfassungskonform auszugestalten. Der Zinssatz betrug bisher 0,5 Prozent pro Monat (also 6 Prozent pro Jahr).

Mit einem am 18. August 2021 veröffentlichtem Beschluss vom 8. Juli 2021 (Aktenzeichen 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) hatte der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent (6 Prozent im Jahr) zugrunde gelegt wird. Im Ergebnis dürfe das bisherige Recht aber für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiter angewendet werden (sog. Fortgeltungsanordnung). Für Verzinsungszeiträume ab 2019 sind die verfassungswidrigen Vorschriften hingegen unanwendbar. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen. Insoweit hatte das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine Neuregelung zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 erstreckt und alle noch nicht bestandskräftigen Festsetzungen erfasst.

Die Vorgaben der Verfassungshüter hat der Gesetzgeber mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ umgesetzt. So gerade noch rechtzeitig war das sog. Zinsanpassungsgesetz Mitte Juli 2022 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden.

1,8 Prozent statt 6 Prozent im Jahr

Der Zinssatz ist rückwirkend für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 abgesenkt worden. Der Gesetzgeber hat sich dabei dafür entschieden, einen starren Zinssatz beizubehalten. Satt bisher 6 Prozent pro Jahr (0,5 Prozent pro Monat) sind es nunmehr 1,8 Prozent pro Jahr (also 0,15 Prozent pro Monat).

Die Höhe von 1,8 Prozent pro Jahr wird damit begründet, dass es sich um einen Mischzinssatz handelt, der wie bisher für Erstattungszinsen und Nachzahlungszinsen gleichermaßen gilt. Der Zinssatz für Konsumentenkredite betrug bei der Vorlage des Gesetzes nach den Erhebungen der Bundesbank zwischen ca. 2,3 Prozent pro Jahr (bei einem besicherten Kredit) und rund 5,3 Prozent pro Jahr (bei einem unbesicherten Kredit). Der Mittelwert hiervon beträgt 3,8 Prozent pro Jahr. Damit liegt der auf 0,15 Prozent pro Monat gerundete Zinssatz fast genau in der Mitte zwischen den durchschnittlichen Habenzinsen (0 Prozent pro Jahr) und dem Mittelwert von durchschnittlichen Konsumentenkrediten (3,8 Prozent pro Jahr). Er orientiert sich außerdem mittelbar – für Zwecke der notwendigen Evaluation – am Basiszinssatz (seinerzeit 0,88 Prozent pro Jahr), allerdings mit einem angemessenen Aufschlag von rund 2,7 Prozentpunkten, und bleibt damit signifikant unter dem Verzugszinssatz nach Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Der neue Zinssatz gilt nur für offene Fälle. Also für Zinsfestsetzungen, die noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, die vorläufig ergangen sind oder bei denen noch ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist. Soweit die Zinsfestsetzung bereits endgültig und unanfechtbar ist, erfolgt keine Anpassung.

Die Bundesregierung hatte einen flexiblen Zinssatz abgelehnt. Bei sehr häufigen Zinssatzänderungen werde die Verständlichkeit von Zinsbescheiden erheblich vermindert.

Die Regierung hatte bei einer Anhörung auch erläutert, warum sie die Verzinsung nicht völlig abschafft. Davon würden vor allem solche Steuerpflichtige profitieren, die unvollständige und unrichtige Steuererklärung abgeben oder den Abschluss von Betriebsprüfungen hinauszögern würden. Als weiteres Argument war genannt worden, dass die Wiedereinführung einer Vollverzinsung bei steigendem Zinsniveau mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden wäre.

Kritiker beklagen, dass die Ampel-Koalition eine große Chance für eine mutige Reform der Vollverzinsung bei Steuererstattungen und -nachzahlungen vertan hat. Es wäre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts an der Zeit gewesen, die Vollverzinsung endlich abzuschaffen. Das wäre auch ein ernsthafter Beitrag zur Bürokratieentlastung der Verwaltung, stellt man den Aufwand der Verwaltung und die Einnahmen aus der Verzinsung in ein sachgerechtes Verhältnis.

Die mit dem Zinsanpassungsgesetz vorgesehene Anpassung der Zinsen bezieht sich nur auf Nachzahlungs- und Erstattungszinsen. Da sich die Entscheidung des BVerfG ausdrücklich nicht auf andere Verzinsungstatbestände erstreckt, soll der Gesetzesbegründung zufolge die Frage, ob auch für andere Zinsen nach der Abgabenordnung oder den Einzelsteuergesetzen sowie für Säumniszuschläge eine Neuregelung des Zinssatzes erfolgt, nicht mit diesem Gesetz beantwortet werden.

Das heißt im Klartext: Der neue Zinssatz gilt nicht für andere Zinsen (insbesondere Stundungs-, Hinterziehungs-, Prozess- und Aussetzungszinsen). Auch für Säumniszuschläge und bei den bilanziellen Abzinsungszinssätzen (für unverzinsliche Verbindlichkeiten: 5,5 Prozent, Rückstellungen: 5,5 Prozent, Pensionsrückstellungen: 6 Prozent) sowie bei den bewertungsrechtlichen Zinssätzen 5,5 Prozent) hat es keine Anpassung gegeben. Nicht aufgegriffen wurden auch die von verschiedenen Verbänden geforderten Änderungen der Vollverzinsung, wie etwa eine Ausnahme der Umsatzsteuer von der Vollverzinsung.

Regelmäßige Überprüfung und ggf. Anpassung

Die Angemessenheit des Zinssatzes wird künftig unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach Paragraf 247 BGB mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume überprüft.

Tipp: Ursprünglich sollte die Evaluierung wenigstens alle drei Jahre und erstmals zum 1. Januar 2026 stattfinden. Vor dem Hintergrund der Zinserhöhung seitens der Europäischen Zentralbank ist dies im Gesetzgebungsverfahren noch einmal angepasst worden. Die Evaluierung soll nun wenigstens alle zwei Jahre und erstmalig zum Jahresanfang 2024 erfolgen.

Vertrauenschutzregelung

Bei der rückwirkenden Neuberechnung der Zinsen wird dem Vertrauensschutz durch Anwendung des Paragrafen 176 Absatz 1 Nummer 1 der Abgabenordnung (AO) Rechnung getragen. Nach dieser Vorschrift darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht.

In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es hierzu: Paragraf 176 Absatz 1 Nummer 1 AO ist bei der Umsetzung der neuen Regelungen mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Zinsen, die sich aufgrund der Neuberechnung der offenen Zinsen ergeben, die vor Anwendung dieser Neuberechnung festgesetzten Zinsen nicht übersteigen dürfen. Sind bisher nur Erstattungszinsen festgesetzt worden, kann sich aufgrund der rückwirkenden Senkung des Zinssatzes deshalb keine Rückforderung ergeben.

Tipp: Dies gilt unabhängig davon, ob diese Zinsfestsetzungen bei Inkrafttreten der Neuregelungen endgültig und unanfechtbar festgesetzt waren oder nicht.

Sind dagegen bisher nur Nachzahlungszinsen festgesetzt worden, sind diese im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten auf Basis der Neuregelungen neu zu berechnen und damit herabzusetzen. In einem Mischfall – abwechselnd Nachzahlungs-und Erstattungszinsen oder umgekehrt – ist Paragraf 176 AO auf das Ergebnis der Neuberechnung anzuwenden. Bei der Nachholung einer ausgesetzten Zinsfestsetzung ist allerdings Paragraf 176 AO von vornherein nicht anzuwenden, da keine Änderung einer Zinsfestsetzung erfolgt, sondern Zinsen erstmals festgesetzt werden.

Erlass von Nachzahlungszinsen bei vor der Fälligkeit freiwillig geleisteten Zahlungen

Tipp: Außerdem verankert das Zinsanpassungsgesetz eine bisher nur im Verwaltungsweg getroffene Regelung über den Erlass von Nachzahlungszinsen bei Zahlungen, die vor der Fälligkeit freiwillig geleistet werden. Diese erstreckt sich damit künftig auch auf die von Kommunen verwaltete Gewerbesteuer.

Übergangsregelung

Da die Neuregelung ab ihrem Inkrafttreten nicht sofort technisch und organisatorisch umgesetzt werden kann, gibt es eine besondere Übergangsregelung. Zinsfestsetzungen für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 können ab dem Inkrafttreten der Neuregelungen weiterhin vorläufig ausgesetzt werden, falls und wenn ja, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des neuen Rechts noch nicht vorliegen. Zu gegebener Zeit werden die ausgesetzten Zinsfestsetzungen dann aber nachgeholt, die noch offenen Zinsfestsetzungen rückwirkend angepasst und alle neuen oder ausgesetzten Zinsfestsetzungen nach neuem Recht durchgeführt oder nachgeholt.

Ungleichbehandlung von Nachzahlungszinsen und Erstattungszinsen bleibt erhalten

Leider bleibt es dabei, dass Nachforderungszinsen bei der Steuer nicht zum Abzug zugelassen sind. Erstattungszinsen sind hingegen als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu besteuern. Diese Ungleichbehandlung ist im Gesetzgebungsverfahren von vielen Experten krisitsiert worden. Der Vorschlag, die Erstattungszinsen entweder wie früher steuerfrei werden oder Nachzahlungszinsen zumindest abzugsfähig sein sollten, wurde jedoch nicht aufgegriffen.

Änderungen zur Mitteilungspflicht bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen

Der Vollständigkeit halber noch ein Hinweis: Mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ sind auch einzelne kleinerer Regelungen in den Paragrafen 138e und 138h der Abgabenordnung – zur Mitteilungspflicht bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen – an unionsrechtliche Vorgaben angepasst worden – auf Basis der geänderten Amtshilferichtlinie.

Stand: 07.08.2022